Meister fallen nicht vom Himmel

Sonne, Sonne, Sonne - und kein Ende in Sicht. Wir sind heute erst gegen halb zwölf aufgebrochen, haben den anderen am Steg großzügig den Vortritt gelassen. Das war auch gut so, denn Einiges hätten wir nur ungern verpasst. Denn ähnlich spektakulär wie beim gestrigen Anlegemanöver zelebrierte die englische Familie zwei Boote vor uns am Steg auch ihren heutigen Aufbruch. Eine Kombination aus Zuversicht, Hoffnung und jeder Menge Glück. Um den ganzen die Krone aufzusetzen, fuhr die Novizen-Crew danach schurstracks auf die in jeder Karte verzeichneten Gebiete mit Untiefen zu. Im letzten Augenblick schien dann aber noch irgend eine talentierte Seele an Bord die Begriffe „rechts" und „links" mit der korrekten Richtung in Übereinstimmung gebracht zu haben. Sie waren also vorerst nicht mehr gesehen, der Fluss schien wieder sicher und so konnte auch unsere Reise nach Süden fortgesetzt werden.

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Der Himmel kam heute mal in Wisch-Technik daher


Um viertel nach eins waren wir bis Portumna vorgestoßen, der Heimat der Emerald Star Flotte und unfreiwilliger Stop für nahezu jedermann. Grund dafür ist eine der seltenen Schwenkbrücken über den Shannon. Ein Teil der darüber führenden Straße wird nach einem festen Zeitplan um 90 Grad zur Seite gefahren, so dass die Boote auf beiden Seiten en bloc hindurch schippern können. Da die letzte Öffnung bereits um 12.30 Uhr stattfand, mussten wir bis 15 Uhr warten. Das war allerdings nicht weiter schlimm, da wir so kurzerhand von der Brücke aus die 1,5 km in den Ort spazieren konnten, um den heimischen Guinness-Vorrat zu aktualisieren. Wieder zurück zahlten wir unseren Obulus von 1,50 € und durften als Belohnung die Gesamtflotte anführen.

Allzu weit sind wir jedoch gar nicht mehr gekommen, denn gleich um die Ecke war unserer heutiges Ziel: Der Anleger am Portumna Castle. Der kleine Hafen wird gerade ambitioniert umgebaut und erweitert, aber schon der jetzige Zustand lässt Gutes erahnen.

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Großzügig bemessen, klare Strukturen und gute Ausstattung: Anleger am Portumna Castle


Ob denn der Aufwand des Hafenumbaus wirklich durch die hohen Besucherzahlen der direkt angrenzenden Burg gerechtfertigt wird, sei einmal dahin gestellt. Heute Nachmittag jedenfalls waren wir dort die einzigen Besucher. Die 1826 durch ein Feuer zerstörte Anlage wird seit einigen Jahren liebevoll wieder aufgebaut. Zweifellos wird das ein echtes Juwel, wenn es fertig ist. Wobei die Floskel „Sorgfalt geht vor Eile“ selten so angebracht war wie hier. Gerade einmal das Erdgeschoss ist wieder restauriert, die zwei darüber liegenden Etagen warten ebenso noch auf Handwerker wie der Keller. Was jedoch fertig ist, beeindruckt umso mehr.

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Gut Ding will Weile haben: Portumna Castle


Was heute schon vollständig wieder aufgebaut ist, nennt sich zurückhaltend „Kitchen Garden“ - ein Blumen-, Pflanzen- und Kräutergarten der Extraklasse. Hinter einer unscheinbaren Öffnung in der Burgmauer gelegen, erstreckt sich in der Größe eines Fussballfeldes eine nicht nur grüne, sondern kunterbunte Oase, auf die jeder botanische Garten stolz wäre.

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Ein Inbegriff des gepflegten Understatements


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Wer hätte nicht gerne eine solchen Garten zu seiner Küche?


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Wir sind bei unserem Rundgang lieber mal auf den vorgesehenen Wegen geblieben...


Wir nahmen uns für unsere Besichtigungstour von Burg und Garten jede Zeit der Welt und sind anschließend in einer größeren Runde zurück zum Anleger gelaufen. Nebenbei haben wir noch schnell eine Klosterruine am Wegesrand durchstöbert, die unvermittelt nach einer Biegung vor uns auftauchte. Wenn die auch noch restauriert werden soll, dann haben die Iren vor Ort auf jeden Fall in den kommenden hundert Jahren noch Einiges vor sich.

Nun sitzen wir gemütlich auf Deck und sehen zu, wie sich der Hafen nach und nach mit Booten füllt. Nichts ist für die Neuankömmlinge schöner, als wenn alle anderen auf den bereits festgemachten Schiffen Noten für das Anlegen verteilen. Hätten wir heute Mittag noch gedacht, schlechter als die Engländer könnte man es nicht machen, hatten wir die Rechnung ohne die Amerikaner gemacht, die zwischenzeitlich zwei Stege weiter angedockt haben. Sollten noch mehr von der Sorte kommen, kann die Kommune die Hafenanlage direkt noch einmal sanieren. Was Amerikaner aber so sympathisch macht, ist die Art, wie sie mit solchen Situationen umgehen. Kaum mit offensichtlich weit mehr Glück als Verstand endlich selbst angeleint, konnte sofort dem nächsten Boot Anweisung erteilt werden, wie es richtig geht. Folgerichtig machte auch das nächste Schiff Bekanntschaft mit der Kaimauer. God bless America.


© Carsten Seiler 2013